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Interview mit Charlotte Lucas

Am 24. November erscheint der neue Roman von Wiebke Lorenz, ihr zweites Buch, das unter dem Pseudonym Charlotte Lucas erscheint. Ich hatte relativ spontan die Gelegenheit, sie auf der Buchmesse zu “Wir sehen uns im Happy End” zu interviewen. Auch wenn ich zu dem Zeitpunkt erst 25% des Romans kannte, war ich schon da total verzaubert und fasziniert von dem Buch und habe mich über diese Möglichkeit zum Austausch gefreut. Wie mir das Buch gefallen hat, könnt ihr natürlich demnächst in meiner Rezension nachlesen. Aber jetzt kommt erst einmal das Interview mit Wiebke.

(c) Anette Leister

Ella, die Protagonistin des Buches, führt einen Blog namens „Better endings“ auf dem sie alternative Enden für Bücher und Filme veröffentlicht. Wie kamst du auf die Idee von Better endings? Gab es irgendein Ende, das dich darauf gebracht hat, das du unbedingt ändern wolltest?

Ehrlich gesagt ja. Ich habe mit großer Begeisterung Dexter gesehen, diese Serie über den Serienkiller, der Gerichtsmediziner ist. Da habe ich mir alle 8 Staffeln hereingezogen und war echt begeistert. Und die letzte Folge von der finalen Staffel war so doof und so unbefriedigend, ich konnte die ganze Nacht danach nicht schlafen, weil ich mich so geärgert habe. Ich dachte, was für ein Mist, wie kann man so aufhören, weil das ja auch die letzte Staffel war. Und dann kam irgendwann die Idee, was soll denn das, ich bin Autorin, ich schreibe mir mein Ende selber. Das habe ich dann zwar nicht gemacht, aber so ist die Idee entstanden, jemand, der Geschichten, bei denen ihm der Ausgang nicht gefällt, einfach umtextet.

Und wie würdest du es als Autorin finden, wenn jemand deine Bücher umschreibt? Oder ist das schon einmal passiert?
*lacht* Nein, das ist noch nicht passiert. Das fände ich natürlich total anmaßend, das ist ja klar. Meine Enden sind ja auch immer super, die sind ja perfekt.

Vielleicht gibt es ja welche, die gerade auf das schlechte Ende stehen…

Ja, das kann sein. Aber meine Bücher gehen ja gar nicht alle so gut aus. Also die Thriller, na ja, die gehen schon irgendwie gut aus.
 Aber, na ja, es ist dann halt doch ein Roman. Ich meine, die Hauptfigur ist ja auch ein bisschen verrückt. Das ist ja wirklich schon pathologisch, die hält das ja gar nicht aus, wenn ein Buch nicht gut ausgeht. Das lässt ihr ja wirklich gar keine Ruhe. Ich hoffe nicht, dass es irgendwelchen Lesern meiner Bücher so geht, dass sie sagen, das muss unbedingt umgeändert werden. Aber man weiß es nicht.

Auch Märchen kommen in dem Buch vor. Magst du selber Märchen?

Ja, aber ich finde schon, dass viele Märchen sehr grausam sind. Gerade die alten deutschen, z.B. Hänsel und Gretel, oder ganz schlimm ist ja diese schwarze Pädagogik vom Struwwelpeter, dem Daumenlutscher werden die Daumen abgeschnitten, oder das Mädchen mit den Schwefelhölzern, das ist ja schon pädagogisch mit dem Holzhammer draufgehauen. Aber ich mag Märchen sehr gerne, ich mag auch diese Märchen-Neuverfilmungen von Disney sehr, also Arielle die Meerjungfrau und die Schöne und das Biest und was es da alles gibt.

Die haben auch immer ein gutes Ende!

Ja, das stimmt. Aber nur bei Disney. In der Originalversion von Hans-Christian Andersen bekommt Arielle die Meerjungfrau den Prinzen nicht und zerschellt zu Schaum auf dem Meer, wie sie es mit der Meerhexe ausgemacht hat. Das ist ein ganz trauriges Ende und eine ganz traurige Geschichte.
Das hat eben Walt Disney adaptiert, und die haben offensichtlich gesagt, das geht so nicht, da brauchen wir ein Happy End! Ich weiß noch, als ich den Film 1989 oder 90 im Kino gesehen habe, da habe ich die letzte viertel Stunde Rotz und Wasser geheult, denn ich kannte ja das Originalmärchen und wusste, wie es eigentlich ausgeht und war dann ganz überrascht, dass dann am Ende das Happy End kam.
In dem Roman geht es ganz viel um Märchen, um Filme, um bekannte Romane und so, das ist schon so ihre Welt, in der sie lebt, da sie unheimlich viel liest. Ella glaubt einfach daran, je mehr positive Energie man in den Kosmos schickt, umso mehr positive Energie ist halt insgesamt da, und dann wird die Welt ein besserer und schönerer Ort.
(c) Anette Leister


Ich muss sagen, ich mag Ellas Logik, die sagt: Wenn man sich die Geschichte schon ausdenkt, warum soll man den Figuren dann nicht ein schönes Ende geben! Wenn es doch eh nur fiktiv ist, warum soll ich ihnen dann noch ein schlechtes Ende geben?

Das ist ja auch richtig, warum sollte ich das? Was soll das bei Titanic? Warum muss Jack sterben? Das ist doch scheiße.
Die Brücken am Fluss, Legenden der Leidenschaft, Vom Winde verweht, Dr. Schiwago, es gibt so viele Geschichten, die am Ende tragisch sind und schlecht ausgehen…
Auch La La Land, was für ein schöner Film, mit einem traurigen Ende.

In „Wir sehen uns beim Happy End“ geht es auch um Gedächtnisverlust. War das schwierig, sich da hinein zu versetzen und dafür zu recherchieren?

Nein, ich habe mit einem Neurologen vom UKE (Universitätsklinikum Eppendorf) gesprochen, der eine Gedächtnissprechstunde hat und sich mit dem Thema sehr gut auskennt und dann habe ich noch ein ganz tolles Buch gelesen von jemandem, der sein Gedächtnis verloren hat.

Die Grundidee war natürlich, dass da auf der einen Seite jemand ist, der sich Geschichten ausdenkt, also Ella, und dann haben wir auf der anderen Seite die männliche Hauptfigur, Oscar DeWitt, die keine Geschichten mehr hat. Und dann fängt Ella an sich für Oscar, der keine Geschichte mehr hat, eine bessere, eine neuere Geschichte auszudenken.

Er hat in Wirklichkeit ein total zerstörtes Leben und weiß es nur nicht.
Nachdem sie ihn mit dem Fahrrad über den Haufen gefahren hat, wacht er im Krankenhaus auf, hat sein Gedächtnis verloren und sie kümmert sich um ihn.
Sie behauptet aus verschiedenen Gründen, sie wäre seine Schwester, damit sie zu ihm kommt, und als er sie sieht und sagt, er kennt sie nicht, will sie das schon aufklären, aber der Arzt ist gerade im Zimmer und ehe sie etwas sagen kann, sagt der Arzt: sehen sie Herr DeWitt, sie erkennen nicht einmal ihre Schwester, wir können sie so nicht entlassen, wir müssen sie auf die Psychiatrie verlegen. Er sagt, er will auf keinen Fall in die Psychiatrie, er ist ja nicht verrückt, er will nach Hause und der Arzt sagt, dass er dann aber eine rechtliche Betreuung haben muss. Das ist der Moment, in dem Ella beschließt bei ihrer Geschichte zu bleiben und sagt: Ich kann mich doch um ihn kümmern, ich bin doch seine Schwester. Sie will aus diversen Gründen verhindern, dass er in die Psychatrie kommt, sie hat damit selbst schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht.
Und dann sagt der Arzt: OK, dann nehmen sie ihren Bruder mit nach Hause, aber gehen sie behutsam mit ihm um, das Gedächtnis wird langsam wieder kommen aber konfrontieren sie ihn nicht mit irgendwelchen Dingen, die er vielleicht seelisch nicht verkraftet. Ich nehme an, dass da irgendetwas traumatisches passiert sein muss, das kann nicht von dem Sturz kommen, das muss psychische Gründe haben.

Und Ella findet leider in Oscars Leben viele Probleme, eine Sache ist schlimmer als die nächste, und sie kann ihm das nicht sagen, weil sie immer denkt er bricht ihr zusammen. Sie muss ihn die ganze Zeit belügen und immer so drum herum lavieren und ihr Lügenkonstrukt wird immer größer und größer und größer.

Als sie anfängt Gefühle für ihn zu entwickeln, hat sie natürlich die Sorge, irgendwann wenn er das herausbekommt, wenn sein Gedächtnis wiederkommt, dann bricht dieses ganze Kartenhaus zusammen und das wird er ihr nie verzeihen!
(c) Anette Leister

Aber am Ende ist ja ein Happy End!?


Es ist ein Happy End. Aber es liegt mir ja nicht so, dieses Sie reiten Hand in Hand in den Sonnenuntergang, bei mir ist das ja immer eher ein Ausblick auf OK, es hat sich alles gelöst und es gibt eine Annäherung. Aber bei dem Buch gibt es ein Happy End.

Mir persönlich gefällt „Wir sehen uns beim Happy End“ noch ein bisschen besser als „Mein perfektes Jahr“, es ist irgendwie noch besonderer.

Ich finde Ella auf jeden Fall sehr sympathisch auch wenn sie schon sehr in ihrer eigenen Welt lebt. So ganz lebensfähig…

…ist sie nicht, nein. Sie leidet ja an magischem Denken, dieser Aberglaube, dass sie durch ihre Gedanken und ihre Handlungen das Schicksal beeinflussen kann. So kommt das überhaupt dazu, dass sie sich um Oscar kümmert, ihr Freund trennt sich von ihr, sie bügelt Oscar DeWitt über, stellt fest, sein Leben liegt in Trümmern und sie schließt mit sich selbst so eine Wette ab: Wenn es mir gelingt, diesen Mann wieder glücklich zu machen, dann kommt das auch mit Philip wieder in Lot. Das ist so ein kindlicher Aberglaube. Das ist magisches Denken, das ist eine Krankheit, die es wirklich gibt. Das gehört zum Bereich der Zwangsgedanken und es gibt Leute, die das wirklich haben, die Rituale ausführen müssen, die nicht auf Rillen zwischen Steinplatten treten weil sie denken, dann passiert etwas und das hat sie eben auch.
Vielen Dank für das nette Gespräch! Ich bin gespannt auf Ellas Happy End!


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